IM ANGESICHT DES STURMS

Erfolgreiches Kundenbeziehungs-Management in Zeiten ökonomischer Turbulenzen

(Ein Artikel von Elmar Scheuba, M.A. – Globaler Leiter des Healthcare-Sektors innerhalb der ISG Personalmanagement GmbH)

Zeiten der Veränderung machen vielen Menschen Angst und stellen die menschliche Existenz vor viele neue und ungeahnte Fragezeichen. Die ISG, International Service Group, hat sich die Frage gestellt: Wie soll man mit veränderten Situationen und Märkten umgehen und wie steht es um die „Angst vor der Angst“?

Zukunftsforscher rund um den Globus haben gerade in Zeiten wie diesen Hochsaison und analysieren die sozialen, gesellschaftspolitischen und ökonomischen Auswirkungen der gegebenen Situation durch Covid-19 auf die Strukturen und das Verhalten der Weltbevölkerung.

Ein hierbei weiterer interessanter Aspekt, mit dem sich die Healthcare-Sparte der ISG schon aus tiefem Eigenverständnis heraus beschäftigt, ist die Frage, wie sich der Recruiting-Markt verändern wird – nämlich unmittelbar und mittelbar. Auf welche Veränderungen muss man sich im Kunden- und Kandidatenkontakt einstellen? Viele Fragen, denen sich der Leiter des Healthcare-Sektors gestellt hat.

Herr Scheuba, was erscheint Ihnen in diesen Zeiten als wichtig im Umgang mit Kunden, die sich momentan zu Recht oder vielleicht auch zu Unrecht Sorge um ihr Geschäft machen? Mit welchen Argumenten und Hilfestellungen begegnen Sie ihnen?

Als besonders wichtig erachte ich es, in dieser Zeit aktiv mit Kunden zu kommunizieren und sie nicht mit ihren Fragen allein zu lassen. Gerade in Krisenzeiten ist es bekanntlich besonders von Bedeutung, aktives Kundenbeziehungsmanagement zu betreiben – und dabei meine ich nicht ausschließlich verkaufen zu wollen oder die Geschäftsanbahnung per se. Vielmehr geht es um das Aufzeigen von Empathie. Es ist einfach in guten Zeiten der Konjunktur den Kontakt zu Kunden zu halten, umso wichtiger erscheint es mir jedoch, sich um Kunden zu bemühen, wenn es schwierig wird bzw. der Markt sich divers verhält.

Gibt es Ihrer Meinung nach denn überhaupt Firmen, die momentan ihre Mitarbeiterkontingente wieder aufstocken, oder anders gefragt: würden Sie Firmen dazu raten wieder an das zukünftige Ende der Krise zu denken und jetzt pro-aktiv zu agieren?

Gerade hier zeichnet sich ein sehr komplexes Bild ab. Eines ist klar: für so eine Frage gibt es in der Regel keine für alle „Wirtschafts-Player“ richtige und folglich zufriedenstellende Antwort. Wir sehen gerade jetzt, dass sich das momentane Szenario ganz unterschiedlich auf die einzelnen Branchen und Wirtschaftsfelder auswirkt – und dann gibt es ja auch noch kulturelle, landesspezifische und auch inner-organisationale Unterschiede und Gegebenheiten. Tatsache ist, dass es gerade in schwierigen Zeiten auch immer Profiteure des Krisenszenarios gibt. Auch die großen Zentralbanken können nicht endlos Geld in die Märkte pumpen, denn es wären vor allem die zukünftigen Generationen, die dann die Konsequenzen solcher Geldpolitik abfedern müssten. Ich möchte damit sagen: nicht alle sind automatisch Verlierer angesichts des momentanen Momentums. Nehmen wir nur einzelne Teilbereiche und funktionale Segmente der Wirtschaft her, wie z.B. Technical Operations, IT, Digitalisierung und Automatisierung.

Nun leiten Sie innerhalb der ISG-Gruppe den weltweiten Gesundheitssektor: welche Auswirkungen sehen Sie in diesem Sektor – unmittelbarer Natur und auch nachhaltig/langfristig?

Gerade in den Bereichen Pharma, Biotechnologie, Medizintechnik und der Krankenhausindustrie herrscht oft die einhellige Auffassung, dass Gesundheit quasi immer Konjunktur hat und dass folglich auch in den kommenden Jahren mit weiterem, fast schon zügellos-anmutigen Wachstum zu rechnen sein wird. Als Gesundheitsökonom kann ich das grundsätzlich nicht ganz verneinen, doch auch hier rate ich zu einer diversifizierteren Sicht der Dinge und Geschehnisse überzugehen. Soll heißen, nicht alles, worauf „Gesundheit“ steht, muss auch immer uneingeschränkt wachsen.

Immer wieder hört man in letzter Zeit das Wort „Systemerhalter“. Welche besondere Bedeutung spielen erhaltende Systeme in der Krise und wie wirkt sich die momentane Situation gerade auf den öffentlichen Teil des Gesundheitswesens aus?

Bezugnehmend auf diese Frage möchte ich mit folgenden inhaltlichen Abgrenzungen vorhalten:

Ich habe mich in den letzten Wochen oft selbst mit der Frage konfrontiert, welche Player im gesellschaftlichen System eigentlich als „Erhalter“ im engeren und weiteren Sinne fungieren und welche Wertschätzung wir diesen Bildern und sozialen Paradigmen in der täglichen Praxis angedeihen lassen?

Wissen Sie, es geht gesellschaftlich und familienpolitisch nicht immer zwangsläufig darum, wer im Wirtschaftsgefüge den besseren, oder sagen wir übergeordneten, auch angeseheneren Status einnimmt. Gerade in den letzten Jahren haben wir gesehen, dass sich familiäre Systeme und Zieldefinitionen weg von reinen Gehaltsdiskussionen, hin in Richtung eines verträglicheren „Work-Life Balance“- Modells entwickeln konnten. Diese nachhaltigen Veränderungen in der Wahrnehmung der individuellen Situation und der damit einhergehenden Definition von persönlichen Prioritäten führt viele Menschen zwangsläufig zu der Frage ‚was eigentlich wirklich von Bedeutung ist?‘.

Welchen gesellschaftlichen Wert messen wir Menschen bei, die beispielsweise an der Kasse eines Supermarktes oder hinter dem Lenkrad eines Busses sitzen? Hier muss ich jedoch feststellen, dass es gerade in den kommenden Jahren auch um eine generell neu-überdachte Positionierung der Gehaltsstrukturen und der damit verbundenen Schaffung von monetären Anreizen – speziell für diese „erhaltenden“ Berufsgruppen – gehen muss.

Um auf den öffentlichen Teil des Gesundheitssystems zu sprechen zu kommen, hier kommt es meiner Meinung nach sehr wesentlich darauf an, welche Aufgabe Ihnen als Player innerhalb des Gesundheitswesens zukommt – d.h. sind Sie ein „Provider“, d.h. Versorger/Systemerhalter (Kliniken, Forschungseinrichtungen), oder ein „Payer“, d.h. „Bezahler“ des Systems (wie z.B. Krankenkassen und Versicherungen). Krankenhäuser und auch niedergelassene Zentren und Arztpraxen spüren die Krise in der Regel sehr unmittelbar und behandeln gerade in diesen Zeiten eine Vielzahl mehr an Patienten – hierbei droht immer eine gewisse Art der „Überlastung“ des Systems.

Des Weiteren sehen wir uns als Gesellschaft bereits seit mehreren Jahren mit einem Auseinanderklaffen der Angebots- und Nachfragesituation bei ärztlichem Personal und Pflegeberufen konfrontiert. Wenn wir uns hier als gemeinschaftlich, solidarisch-geregelte Einheit nicht bald Lösungen einfallen lassen, droht der viel zitierte „Kollaps“ des Systems.

Und dann gibt es noch den Bereich der privaten Gesundheitsindustrie. Wie sieht es Ihrer Meinung nach damit aus? Würden Sie sagen, dass gerade in gesundheitspolitischen Krisenzeiten die Versorgung der Menschen mit Gesundheitsprodukten über allen Maximen steht und dass gerade jetzt in diesen Branchen vermehrt Personalbedarf generiert wird?

Das ist ein ganz wesentlicher Punkt, den Sie hier ansprechen. Gerade pharmazeutische, biotechnologische und medizintechnische Produkte und Services kosten viel Zeit in der Entwicklung und verbrauchen große Mengen an Ressourcen. Nehmen Sie nur das Beispiel der pharmazeutischen Wirkstoffentwicklung her. Es dauert Jahre bis ein Wirkstoff vom ersten molekularen Sequencing bis hin zur Marktreife schließlich zugelassen und auf den Markt gebracht werden kann, unbeachtet des damit natürlich einhergehenden, sehr hohen Kostenaufwands.

Nun ist es aber nicht so, dass man sagen kann, dass sich wirklich sämtliche Bereiche und alle Produktsparten der privaten Gesundheitsindustrie gerade jetzt von einem Verkaufshoch zum anderen bewegen. Hier bedarf es vielmehr ebenfalls einer sehr abgestuften Sichtweise. Wir haben z.B. beobachtet, dass gerade die Nachfrage an Mitarbeitern im Außendienst in dieser Phase der Restriktionen naturgegebener Weise zurückgegangen ist, wohin gegen Positionen im Bereich der Forschung derzeit dringend gesucht werden. Eine weitere Bedeutung kommt hierbei sicherlich den veränderten Bedingungen im Business Development und in der Markterweiterung zu. Gerade jetzt stellen sich viele Firmen die berechtigte Frage der lateralen Diversifikationsmöglichkeit. Generell kann man annehmen, dass solche Unternehmen, die auf Innovationsgeist setzen, indem Sie z.B. gerade in der momentan vorherrschenden Situation verstärkt auf neue Ländermärkte blicken und in technisch-erweiterte Marktsegmente investieren, die Nase vorne haben werden. Nehmen Sie nur als Beispiel die globale Branche der Automobilhersteller. Einige dieser Firmen produzieren statt Autos nunmehr medizintechnische Geräte. Auch hier zeichnet sich eindeutig der Trend ab, dass sich Anpassungsfähigkeit und Ideenreichtum durchsetzen.

Herr Scheuba, wie ist Ihr Eindruck – ist die vorherrschende Situation bei den Firmen bzw. die oftmals vorhandene Zurückhaltung in jedem Falle berechtigt oder würden Sie den Firmen, bezugnehmend auf neue Mitarbeiteranstellungen, zu mehr Mut und auch Risiko raten?

Also, ich würde hier als Personal-Recruiter auf jeden Fall dazu raten, schon jetzt an den kommenden Aufschwung zu denken. Ungeachtet dessen, ob wir die noch viel zitierte „Zweite Welle“ sehen werden, kann ich Firmen nur dazu raten, sich auf die Öffnung der Märkte und deren schrittweise Normalisierung rechtzeitig vorzubereiten. Wir als Recruiting Company gehen davon aus, dass sämtliche Firmen nach der Krise versuchen werden passendes Schlüssel-Personal kurzfristig und in einer Art „Umkehr-Reaktion“ zu rekrutieren. Nur funktioniert diese Art des überhasteten Recruitings nicht zwingend uneingeschränkt bzw. können sich solche abrupten Bemühungen auch als kontraproduktiv erweisen. Gerade in Zeiten des noch kommenden Wiederaufschwungs ist damit zu rechnen, dass letztlich die sehr gut qualifizierten Kandidaten gleich mehrere Angebote „auf dem Tisch“ liegen haben werden. Einzelne Player werden es sehr schwer haben den passenden Fit auch vertraglich für sich zu sichern. Der berüchtigte „War for Talent“ und die Konzentration in einem zunehmend von der Suche nach Selbstbestimmung geprägten „Bewerbermarkt“ wird noch stärker als bisher vonstattengehen.

Nun, wie Sie es beschreiben, Herr Scheuba, unterstreicht dies umso mehr die Notwendigkeit der Unternehmen, sich jetzt schon im Vorfeld des Aufschwungs um die passenden Kandidaten zu kümmern, richtig?

Ja, genau – das ist tatsächlich die geeignete Maßnahme! Ich empfehle unseren lokalen und auch internationalen Firmenkunden jetzt schon mit den ersten Kandidatengesprächen zu beginnen bzw. die zu besetzenden zukünftigen Stellen in Vorbereitung zu bringen. Schließlich spricht nichts dagegen, schon im Vorfeld erste Gespräche mit prospektiven Kandidaten, etwa via Videokonferenz und neuen Medien, zu initialisieren.

Finalgespräche mit Kandidaten sind dann, wenn der Start der Position schließlich erfolgen soll, auch kurzfristig, gegebenenfalls auch face-to-face durchführbar. Der Vorteil ist einfach gesprochen nur der, dann im Falle des Falles den Zeitfaktor bzw. das Momentum „auf seiner Seite“ zu haben.

Zudem bieten wir, als Executive Search Company, auch die Möglichkeit des „Market Mappings“ an, d.h. im Wesentlichen zu verifizieren, welche Kandidaten überhaupt in der momentanen Situation am Markt verfügbar wären (z.B. innerhalb gewisser Branchen, Funktionen oder auch geografischen Regionen) und welche Anstrengungen eine zukünftige Arbeitgeberfirma unternehmen müsste, um eben diese zu gewinnen. Es muss in der Tat nicht immer gleich ein Recruiting-Projekt sein, auch das Instrument des „Market Mappings“ erachte ich hierbei – und gerade hinsichtlich der momentanen Parameter – als sehr hilfreich.

Könnten Sie uns auch noch Tipps geben, wie sich Kandidaten, die im Rahmen dieser Situation etwa Ihren Arbeitsplatz verloren haben, momentan positionieren sollten, um somit für zukünftige Arbeitgeber wieder attraktiv zu erscheinen?

Gerne, Ihre Frage zielt ja sozusagen sehr konkret auf den komplementären Kernteil unseres Business, also die anderen 50% unseres Erfolges als Recruiting-Firma ab, nämlich den Markt der Kandidaten.

Wir glauben, dass sich gerade im Bereich der Führungs- und Leadership-Positionen die Marktkurve nicht uneingeschränkt und somit ausschließlich negativ zu Lasten der Kandidaten abgeschwächt hat. Gerade in Zeiten der Krise benötigen Firmen verstärkte Führungsstrukturen, um eben derartige Momentaufnahmen auch gut überstehen zu können. Hierbei sehen wir wiederum, dass es mehr als bisher auf die viel zitierten Führungsqualifikationen und „Soft Skills“ ankommt, aber auch Thematiken wie in etwa Transformations- oder Changemanagement-Expertise zählen mit Sicherheit zu den momentan sehr gefragten Schlüsselfaktoren.

Die Frage ist also nicht immer quantitativ, sondern vielmehr oft qualitativ zu beantworten. Nicht ‚welche Menschen brauche ich als Arbeitgeber?‘ oder gar ‚wie viele Neueinstellungen plane ich?‘ oder ‚welche Mitarbeiter möchte ich als Firma behalten?‘ gelten als die unbedingten Fragen, sondern vielmehr welche Eigenschaften benötigen wir in modernen pluralistischen Gesellschaften und welche adaptiven Fähigkeiten müssen wir an den Tag legen, um als Firma gerade in Krisenzeiten zu bestehen? Mir ist es hierbei wichtig zu erwähnen, dass die zu tätigenden Adaptierungen und Neuorientierungen im Rahmen eines neuen gesellschaftlichen und arbeitspolitischen Wertemodells gleichermaßen die Arbeitgeber- und die Arbeitnehmerseite betreffen werden.

Für Kandidaten, die gerade neu suchen, bedeutet das sicherlich, dass man noch mehr als bisher auf Spezialisten-know-how setzen wird. Der fachlichen Expertise innerhalb eines funktionalen Segments oder auch innerhalb von Subbranchen und Subindustrien wird hierbei eine immer wichtigere Bedeutung zukommen. Mit Sicherheit werden auch in Zukunft immer noch generalistisch geprägte, transformationale Führungsstrukturen von Bedeutung sein, doch der Trend zur Nische und zur Spezialisierung ist unumstritten. Gut qualifizierte Kandidaten, die einen Mehrwert für Firmen bieten, werden immer Chancen am Markt vorfinden – ungeachtet der politischen Gegebenheiten. Hier rechtzeitig für die eigene diversifizierte Eignung zu sorgen, ist für mich eine der Kernfragen, die jeder Kandidat für sich (nicht nur in diesen Zeiten) beantworten muss. Einen Job zu verlieren ist die eine Sache, einen zu behalten die andere.

Vielen herzlichen Dank, Herr Scheuba, für die sehr wertvollen Einblicke in Ihren beruflichen Alltag und für das angenehme Gespräch.

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